Jenseits des Binnenmarktes
„Die Kreativität und der Geist gehören zur Seele Europas.“ So formuliert es mit Papst Franziskus ausgerechnet ein Nichteuropäer. Aber recht hat er. Europa ist zweifellos mehr als Binnenmarkt plus politische Kooperation. Bildung, Wissenschaft und Kultur spielen im Institutionengefüge der EU zwar bis heute eine eher untergeordnete Rolle. Sie erfüllen die Gemeinschaft aber mit geistigem Leben. Und wenn man so weit erst einmal ist, dann braucht es natürlich auch ein europäisches Feuilleton. Genau das ist die Idee von eurozine.com.
Hinter dem Portal steht ein Netzwerk von 90 Kulturzeitschriften aus 35 europäischen Ländern. „These journals are part of a genuinely international debate, spreading political, philosophical, aesthetic, and cultural thought between languages.“ So versprechen es die Macher von Eurozine, die ihre Zentrale in Wien haben. Und es stimmt: Wer den intellektuellen Debatten in Europa folgen will, kommt an Eurozine kaum vorbei, zumal auch Redaktionen aus Nicht-EU-Staaten wie Norwegen, Serbien und Belarus mitmachen. Veröffentlicht werden die Texte auf Englisch und in der Originalsprache.
Allerdings bleibt es bei dem, was man ein politisches Feuilleton nennt. Literatur- und Musikkritiken oder Empfehlungen von Ausstellungen und Theateraufführungen sucht man vergeblich. Schon klar: Das gehört nicht zum Eurozine-Konzept, das Texte „on the most pressing issues of our times“ vorsieht, und zwar auf höchstem Niveau. Schade finde ich es trotzdem, denn die von Papst Franziskus beschworene Kreativität Europas kommt ja gerade im künstlerischen Schaffen zum Ausdruck.
Wer an dieser Stelle einwendet, europaweite Konzertempfehlungen würden nur die Vielfliegerei fördern, dem kann ich diese Sorge zwar nicht gänzlich nehmen. Es gibt aber immer mehr und immer bessere digitale Angebote, die Kunstgenuss auf andere Weise ermöglichen. Erwähnt und empfohlen sei nur die großartige Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker, die übrigens ihre neue Saison mit einem Open-Air-Konzert am Brandenburger Tor eröffnen. Auf dem Programm steht mit Beethovens neunter Symphonie die Europahymne.